Bereits nach der ersten Italienreise (1494/95) und noch vor der Jahrhundertwende begann Dürer, die Gestalt des Menschen geometrisch zu fixieren. Bei der Arbeit an Porträts, auch am eigenen Bildnis, setzte er auf Äquidistanzen. Letztere entwickelte er aus den Liniengerüsten als Bezugsgröße zur Teilung des Gesichtes in drei Teile (siehe Vor 1500).
Dürers Autoporträt in Madrid (hier ist nur die eine Seite des Proportionsdiagramms eingezeichnet) zeigt mit roten Linien, dass gleiche Abstände vom Tränenpunkt des linken Auges in drei Richtungen eingehalten wurden. Zudem wird dieses Auge exakt von den Diagonalen im mittleren Feld eingefasst.
Die Art und Weise, die Gesichtszüge zu veredeln, könnte er bei dem italienischen Maler Andrea Mantegna (1431 - 1506) beobachtet haben. Mantegna legte beispielsweise dem Porträt des Kardinals Carlo de' Medici ebenfalls eine Konstruktion zugrunde.
Innerhalb des Quadratnetzes aus neun Feldern zeigen schwarze Linien die gleichen Strecken im Gesicht an. Hier gehen sie nicht nur von einem Augeninnenwinkel aus. Sie markieren auch die Höhe der Mundwinkel und die Höhe des Hutrandes auf einer Linie des Gerüstes.
Dass auch für Mantegna ein ordnendes Proportionsdiagramm anzunehmen ist, belegen zudem andere, davon abhängige Hilfslinien. Eine rote streift die Wange, eine andere durchläuft den Tränenpunkt des
Auges. Die weiße gestrichelte Linie startet unten links an der Schulter und zieht durch das Liniengerüst hindurch.
In beiden Werken fällt auf, dass die Raster auch die Kopfbedeckungen einbeziehen. In Dürers Selbstbildnis ist es ein Knick in seiner zweifarbigen Zipfelhaube, der auf den Ansatzpunkt seiner
Konstruktion hinweist. Durch ihn und einen der inneren Augenwinkel verläuft eine Vertikale in Richtung des Kinns. An dieser Linie wird die Gesichtsdreiteilung abgetragen, deren Einheit die
Strecke vom linken äußeren Augenwinkel zum Gesichtsrand rechts ist.